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Von der Hausgeburt zum Kaiserschnitt. Wenn Liebe ohne Herzchen kommt.

© Chloe Trayhurn
© Chloe Trayhurn

 

Einige Zeit musste ich jedes Mal heulen, wenn Sigur Ros im Radio lief. Vor einem Jahr hatte ich gefühlt zwei Babies. Eines in meinem Arm und eines noch in meinem Bauch. Vorgestellt hatte ich mir das ganz anders. Fast ein Jahrzehnt hatte ich auf Schwangerschaft und Geburt gewartet. Die Schwangerschaft kam. Die Geburt blieb irgendwie aus. Der "Knopf" ging erst ein halbes Jahr später auf. 

Schwanger.

Das erste Mal gespürt hab ich, dass da etwas in mir wächst in Tschechien. Das war vielleicht die vierte Woche. Es war erste Nacht, die ich nicht mehr durchgeschlafen hab. Dabei kann mensch neben mir Fliegerbomben sprengen, ohne dass ich hochschrecke. Diesmal aber nicht. Morgens tat der rechte Fuß komisch weh und ein Blick in den Spiegel verriet mir: irgendwas ist anders. Ich bin schwanger. Da war ich mir tausendprozentig sicher.

Geburtsvorbereitungen.

Dass der kleine Mensch bei uns zu Hause geboren werden sollte, darüber war ich mir schon im Klaren, als noch nicht einmal die Entscheidung für ein neues Leben gefällt war. Die Hebamme hatte ich längst ausgesucht. Angst hatte ich nie. Einige Monate vorher kam noch ein Hypno-Birthing-Kurs dazu. Hatte mir eine Freundin aus England empfohlen. Noch weniger als keine Angst vor der Geburt, bloß Entspannung. Die Gedanken an die katastrophalen Geburten anderer konnte ich getrost wegschieben. Hatte nichts mit mir zu tun. Ich war relaxt. Das Geburtsbecken war schon aufgeblasen und wartete im Kinderzimmer. Alles bereit.

 

Ich wache auf in einer Pfütze eine Woche vor dem Geburtstermin. Jubel, Trubel, Aufregung. Nichts. Die Hebamme stellt fest, dass die Fruchtblase wieder verklebt ist, nur ein Haarriss. Drei Wochen später noch immer nichts.  Zwölf Tage nach dem errechneten Termin fahren wir in die Klinik.

@Katja Grach - Geburtspool wartet auf Hausgeburt
© Katja Grach - Bloggerin wartet auf Hausgeburt

Die Geburt beginnt.

„Hallo, da bin ich, ich würde gerne entbinden. Aber ambulant wenn möglich.“ Noch immer sehr relaxt. Die Hebammen entschuldigen sich erst mal, dass das nicht so läuft, wie ich mir das vorgestellt habe. Ich bekomme eine Art Schuhbändchen an den Muttermund gelegt, das Prostaglandin abgeben soll, am nächsten Tag folgen Akkupunktur und Globuli noch dazu. Die Wehen setzen ein. Weil grade Besuchszeit ist und überall sonst extrem heiß, ziehen wir in den Kreissaal um, legen Sigur Ros auf und kuschlen auf der riesigen Matratze am Boden, bis die Wehen stärker werden und alles was noch an Magen- und Darminhalten da war, sich entleert. Naja, immerhin. Der Hebammencocktail im Vorfeld hatte bislang ja nichts bewirkt. Der Sex ebenso wenig.

Das Schuhbändchen scheint seine Wirkung nicht zu verfehlen. Es rüttelt und schüttelt mich. Aber irgendwie passiert nichts. Ich bitte um Schmerzmittel, von denen ich nichts merke. Ich klammere mich an der Sprossenwand fest und zerquetsche die Hand meines Partners. Er schaut auf den Wehenschreiber und sagt mir, wann ich entspannen kann. Ich mach‘s und falle beinahe in Tiefschlaf – zumindest bis die nächste Wehe kommt. Es ist scheißanstrengend, aber ich bin innerlich ruhig. Die eine Hebamme munkelt zur anderen etwas von erstaunlicher Körperbeherrschung. Diejenige, die mich seit dem Vortag betreut hatte, ist leider weg. Als die Wehen stärker wurden, endete ihr Dienst. Wer mich jetzt betreut, weiß ich nicht. Auf jeden Fall tut sich nichts. Wir probieren mehrere Positionswechsel. Ich denke mir schon, dass das Kind nicht raus will. Das denke ich mir schon seit Tagen, weil es nicht ins Becken eingetreten ist. Die Herztöne werden nicht besser.

 

Es ruckelt in meinem Bauch aber da will niemand raus. Wir müssen einen Kaiserschnitt machen, heißt es. Whatever, denk ich mir.

Grey's anatomy live. Eine Geburt wie im Fernsehen.

Und dann geht es auf einmal ratz fatz. Ich werde auf eine andere Liege gehoben, wir fahren in den OP nebenan, zack, Wehenstopper rein und mein Herz rast plötzlich wie auf der Achterbahn. Aufsetzen, zack, Kreuzstich, mir ist schlagartig kalt. Eiskalt von Kopf bis Fuß. Gleichzeitig rast mein Herz noch immer auf der Achterbahn auf und ab. Wo ist A.?

 

Was passiert? Muss ich sterben? Deckt mich zu, mir ist so kalt, mein Herz klopft noch immer ganz wild. Da ist A. Ich habe Angst, mein Herz springt gleich heraus. Ein Mensch in grün hebt da einen kleinen Menschen hinter dem Vorhang hoch. Das ist ja wie im Film. Ein Baby. Das ist meines. Wo kommt das her? Jetzt ist es wieder weg. A. geht mit, den kleinen Menschen in Empfang zu nehmen. Ich werde zugenäht. Wurde ich aufgeschnitten? Wann ist das alles passiert?

 

Ich hab nichts gemerkt, kein Ruckeln, nichts. Nur mein rasendes Herz und diese Kälte.

Gefühlt wenige Minuten später sind sie fertig. Ich komme in den Raum mit A. und dem Baby. Beide sind selig. Das Baby wird mir an die Brust gelegt. Das ist also mein Baby. Aha. Ich fühle mich wie beim ersten Sex. „Das ist es also, darum machen alle so viel Aufhebens?“, dachte ich mir mit 17. Jetzt irgendwie auch. Das kleine Wesen schläft später in meinem Arm ein. Erst am nächsten Tag bemerke ich, wie süß es ist.

Enttäuschung.

Ich bin enttäuscht. Maßlos. Von meinem Körper.


Wieso kann der nicht gebären? Wieso hat das nicht geklappt? Ich bin so wütend, und weiß nicht auf wen ich es sein soll.


Denn eigentlich hat derselbe Körper verhindert, dass sich das Baby mit der Nabelschnur stranguliert. Darum kein Eintritt ins Becken, darum hat sich nichts getan. Ich müsste doch froh sein. Trotzdem bin ich wütend und enttäuscht, auf mich, auf den Körper, auf das Leben. Wenigstens funktioniert der Milcheinschuss ohne Probleme. So prall sind meine Brüste mit Milch gefühlt. Ich versöhne mich kurz mit dem Leben, dem Körper, der „Natur“. Wenigstens das funktioniert so wie es sollte.

Warten auf Herzchen.

Die nächsten Tage sind merkwürdig. Der kleine Mensch scheint mich sehr zu mögen. Kuschelt sich an mich. Manchmal jammert er. Wenn A. ihn hochnimmt beruhigt er sich sofort. Bei mir manchmal. Ich darf nicht an die OP denken. Sofort steigt mir das Wasser in die Augen. „Hauptsache gesund“, hör ich ganz oft. Jedes Mal trifft es. Ganz tief. A. bleibt noch ein paar Tage mit mir zu Haus im Wochenbett. Ich erhole mich recht schnell; abgesehen vom Weinen. Irgendwann bringe ich es übers Herz, ihm zu sagen, dass ich diesen kleinen Menschen irgendwie total lieb hab, aber irgendwie auch nicht. Ich hätte kein Problem damit, wenn ich ihn jetzt zur Adoption frei geben müsste. A. liest in einer Broschüre über postnataler Depression nach und sagt mir, dass das ganz normal ist. Normal find ich das trotzdem nicht.

 

Außerdem will ich raus, mich spüren, irgendetwas zwischen meinem Kopf und Beinen fühlen. Aber da ist nichts. Leere, Taubheit. Für den kleinen Menschen fühle ich mich verantwortlich. Fotografiere ihn ständig, überprüfe dauernd, ob ihm nicht zu kalt ist, ob er noch atmet. Da ist diese Zuneigung, aber ein Ton von Sigur Ros und es schwemmt mich ein Tsunami aus Tränen weg. Irgendwie gut, dass ich noch nicht in die Badewanne darf. A. hat das Geburtsbecken weggeräumt, ohne, dass ich nochmal einen Blick drauf werfe. Es fehlt etwas.

 

Wo ist mein Baby? Das aus meinem Bauch? Wo ist es?

Eine Bekannte gebärt spontan. „Ein total schönes Geburtserlebnis.“ Sie ist überglücklich.

Sex? Das ist doch die Wohnung vom Baby.

Wir streiten herum, A. will Nähe, ich habe genug davon mit dem Baby. Bitte nicht noch einer, der meine Zuneigung will. Dieser kleine Mensch kostet mich Kraft genug. „Hauptsache gesund,“ höre ich noch viele Male. Es fehlt etwas.

 

Wir haben Sex. Ich kann mich irgendwann dazu durchringen. Mein Kopf möchte, meinem Körper scheint das egal zu sein. Ich muss mich irrsinnig konzentrieren, um nicht abzuschweifen und stattdessen das Kribbeln aufrecht zu erhalten. Es schmerzt. Es schmerzt unglaublich. Wir probieren eine andere Position. Es schmerzt noch immer. Wir brechen ab. Ich muss weinen. Ich will nicht, dass da jemand in meinen Körper eindringt. Dass ist doch der Ort, an dem mein Baby wohnt. Das ist doch seine Behausung. Ich will mich noch nicht davon verabschieden. Ich warte noch immer auf das Baby aus meinem Bauch. Das andere Baby, das neben mir ist nicht dasselbe Kind.

 

Monate vergehen und wir versuchen es immer wiedermal mit Sex. Jedes Mal dasselbe Ergebnis: Schmerz. 

Hilfe.

Ich verdächtige meinen Kopf. Mache mich auf die Suche nach einer geeigneten Therapeutin. Ein halbes Jahr ist fast vergangen. Kurz vor dem Erstgespräch möchte ich einen Rückzieher machen. Ich fühle mich doch gut, ich glaube das Baby und ich haben gut zueinander gefunden. A. sagt, ich soll trotzdem hingehen. Nur für alle Fälle. Im Bus auf dem Weg dorthin kann ich meine Tränen nur mehr mühsam zurückhalten. Als ich mich im Beratungszimmer auf den Stuhl setze, bricht es gleich aus mir heraus.


Ich wünsche mir, dass das Baby, das mir im Krankenhaus überreicht wurde, meines ist. Und dass ich keine Schmerzen beim Sex habe. Und dass ich nicht mehr dieses Gefühl des Fehlens mit mir herumtrage. Die Zeit arbeitet für mich, meint die Therapeutin, was das Kind betrifft.


Ich wünsche mir ein Zeichen. Ein Zeichen, dass das Kind sich mir zu erkennen gibt.

Richtungswechsel. Das Baby kommt an.

Wegen Weihnachten muss der erste offizielle Therapietermin hinausgeschoben werden. Der Gynäkologe untersucht mich derweil und findet keine physische Schmerzursache.

 

Das Kind schaut mir eines Tages tief in die Augen. Ich fühle mich angesprochen. Es meint mich. Es ist das Baby aus meinem Bauch. Wir beide gehören zusammen.

Bei einem Zeichenworkshop kritzle ich darauf los und bin erstaunt, was auf dem Papier landet. Da war noch einiges. Doch aus den Scheren werden Schmetterlinge....

Von der Hausgeburt zum Kaiserschnitt.

Meine Libido mit allem Drum und Dran kehrt zurück. Wir haben Sex und es ist wunderbar. Ich beginne, wieder zu arbeiten und genieße es, bis 21 Uhr in der Firma zu bleiben und mich in Projekte zu vertiefen und zu Hause für mein Baby da zu sein. Ich habe kein schlechtes Gewissen.

 

Ich habe gelernt, dass ich mein Baby liebe, so oder so. Bislang ist es das relaxteste Kind, das ich kenne. Schreit nicht, schläft, unkompliziert, kuschelt gerne. Scheint nichts von meinen Problemen gemerkt zu haben.

Eine Unterschrift, die bleibt.

Ich werde massiert. Der Masseur spricht mich auf meine „Unterschrift“ an. Nennt mir eine Salbe, die bei der Wundheilung helfen kann, die meine Unterschrift verschwinden lässt.


Ich überlege kurz.


Nein.


Ich möchte meine Unterschrift behalten.


Sie ist das einzige Zeugnis dieser Geburt, das ich habe. In meinem Kopf gibt es keine Bilder dazu. Mein Körper hat nie das Ruckeln gefühlt, als das Kind herausgezogen wurde. Meinem Körpergedächtnis fehlt jegliche Erinnerung. Ich brauche diese Unterschrift. Ich trage sie stolz, wie eine Kriegsveteranin, die ihre Narben mit den dazugehörigen Geschichten präsentiert.


Eigentlich kann ich mir die Therapie nun sparen. Ich gehe trotzdem hin zu meinem ersten offiziellen Termin. Mir geht es gut. Ich erzähle, was sich getan hat. Mit einem Schnipsen hat auf einmal alles wieder gepasst.

Genauso schlimm wie die eigenen Vorstellungen wirken die Vergleiche mit anderen. 

Die Therapeutin fragt mich, was ich tun müsste, damit es wieder so schlimm wird, wie es war.

 

„Mich mit anderen vergleichen“, fällt mir ein.

 

Ich frage mich, wie viel von diesem Fehlen Mutterschafts-Idealisierung und wie viel tatsächlich Körpergedächtnis war.

 

Kaiserschnitt ist auch eine Form von Geburt.

Ohne Sternchen und Herzchen in den Augen ist auch Liebe.

Hilfreiches für dich...

Je nach dem welche Geburtserfahrung du gemacht hast, und wofür du Verständnis suchst, findest du hier ein paar Links, die dir Schicksalsgefährtinnen bieten können:

 

Meine Narbe (Film)

Roses Revolution (Globale Bewegung gegen Gewalt in der Geburtshilfe)

Nach dem Kaiserschnitt (Beratung in Wien)

Verzögerte Liebe (Erfahrung nach vaginaler Geburt)

Geburtstrauma - Flashback (persönlicher Bericht)

#selbstgeboren-Debatte mit vielen Statements und Links

 




Dieser Text wurde schon im März 2014 auf www.umstandslos.com veröffentlicht unter dem Titel "Und Schnitt." - Damals allerdings anonym. Aufgrund der ermunternden Kommentare weiß ich heute, dass viele im selben Boot sitzen. Und dass frau das auch durchaus ansprechen darf/soll.

 

Außerdem wurde er später auch in Familie Rockt abgedruckt und Teile davon in der Brigitte Mom.

 

Das wunderbare Bild zum Artikel hat Chloe Trayhurn gemalt. Ihr findet sie hier und ihre Werke auf etsy.


Noch mehr mütterliche Momente...

#mutterkörper Körper nach Schwangerschaft
Erfindung der Mutter


Wie ist es dir mit deinem Geburtserlebnis und allem drum und dran ergangen?