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Kinder vor Mobbing schützen

Schule. Die einen gehen gern hin, manche weniger. LehrerInnen, Schulform und Noten können ein Grund dafür sein. MitschülerInnen der andere. "Kinder können grausam sein", heißt es manchmal. Sind sie auch. Sie sind direkt, statt lange hinter dem Rücken zu mauscheln. Wenn sie dich fertig machen wollen, suchen sie nicht nach subtilen Wegen. Antipathie wird lautstark vorgetragen. Und wer nicht in der Schusslinie steht, ist ganz froh wenn er/sie mal nicht als Letzte/r ins Völkerball-Team geholt wird. - Unsere Kinder möchten wir am liebsten vor solchen Szenarien schützen. Aber bringen wir ihnen auch bei, nicht TäterInnen zu sein? (plus kostenloses Worksheet)

Die Bösen sind immer andere

Aus Filmen sind uns diese Szenen wohl bekannt: Aussenseiter sind dickbebrillte dürre Jungs, deren Pausenbrot einkassiert wird, die geschubst werden, und das natürlich von einem doppelt so großen und doppelt so schweren anderen Jungen. Werden Mädchen in Filmen schickaniert, sind sie meistens hässliche Streberinnen oder dick. Verspottet werden sie von anderen Mädchen. Geschlechterübergreifend scheint das Szenario nicht zu existieren.

Sind die verspotteten Kinder die TitelheldInnen der Geschichte, so werden sie normalerweise aufgebaut. Sie bekommen Zauberkräfte, einen großen Hund an die Seite (Ein Hund namens Beethoven), lernen sich verbal oder physisch zu wehren. Manchmal schreiten auch Erwachsene ein. Die bösen Kinder, die die so grausam sind, werden selten geläutert, da - so sieht es das Filmskript vor - deren Eltern ebenso grobschlächtige Haudraufs sind, und deshalb hohl und lernunfähig. Die verstehen quasi keine andere Sprache. Und bei den gehässigen Mädels braucht es erst gar keine Eltern, denn wie wir ja alle wissen, sind weibliche Wesen von Grund auf boshaft und zickig, und oberflächlich sowieso (bei diesen Geschichten ist ja meist in irgendeiner Weise ein Schulball oder die Chef-Cheerleaderin oder sonst irgendein beliebtestes Mädchen der Schule involviert).

 

Was lernen wir daraus?

  1. Opfer von Diskriminierung, psychischer und physischer Gewalt sind quasi selbst schuld, wenn sie sich nicht ändern und stärker werden, um nicht mehr Opfer zu sein.
  2. TäterInnen von Diskriminierung, psychischer und physischer Gewalt sind einfach so. Punkt. Da gibt es nix dran zu ändern.

Im Fach-Jargon sagt mensch "victim blaming" dazu.

Der Vorteil von victim-blaming (also dem Opfer die Schuld zu schieben)? Ganz einfach: Nichts braucht sich ändern, und niemand braucht sich darüber Gedanken zu machen, warum es Menschen gibt, die diskriminieren, die grausam zu anderen sind - egal ob im Bus, in der Arbeit oder in der Schule. Jede/r der mag kann weiter draufhauen und die, die sich nicht wehren, die sollen sich halt endlich mal empowern.

Wie viele von uns waren Bystander?

Neun Jahre Schulpflicht sind es in Österreich. Neun Jahre, in denen wir mit erlebt haben, wie andere Schüler und Schülerinnen schikaniert wurden. Manche von LehrerInnen, einige von MitschülerInnen. Und niemand wundert sich, warum die nicht zum Klassentreffen kommen. Die Gründe scheinen Erwachsenen banal. Aber es sind dieselben Gründe, die Erwachsene dazu nutzen, um sich über andere zu stellen.

 

Körperform, Haarfarbe, Kleidung, Religion, Herkunft, Familienform,...

 

Ein Kind muss nicht Tochter oder Sohn eines gleichgeschlechtlichen Paares sein. In meiner Hauptschule reichte die Tatsache, dass die Eltern geschieden waren. Damals am Land war das offensichtlich noch nicht so üblich. Ich erinnere mich auch an das uneheliche Kind eines Pfarrers, ein Kind aus einer Familie mit ganz vielen Kindern, ein Kind aus einer Patchworkfamilie. Die standen alle nicht gerade hoch im Kurs.

 

Um ausgegrenzt zu werden, muss ein Kind auch nicht muslimisch sein. Eine andere christliche Konfession, die halt sonst niemand kennt und mit einer Sekte gleichgesetzt wird, tuts ebenfalls.

 

Für Diskriminierung brauchts auch keinen "Migrationshintergrund". Es reicht völlig, wenn du von der Stadt aufs Land ziehst oder umgekehrt. Ein anderer Dialekt und die Sache ist perfekt.

 

Dicke Kinder und alle die im Turnunterricht schlecht abschneiden stehen ohnehin meist ganz unten in der Klassenhierarchie.

 

Wie viele von uns waren weder Opfer noch TäterInnen und haben nichts gemacht? Haben weggeschaut und dem Klassenvorstand nichts gesagt; den Eltern auch nicht. Hätten wir sollen? Ich denke ja.

 

Immer wieder beklagen wir, dass es so wenig Zivilcourage gibt in unserer Gesellschaft. Egal wie ohnmächtig mensch sich fühlt und wie wenig mensch selbst zur Zielscheibe werden will, aber sollten wir unseren Kindern nicht auch beibringen, welches Verhalten ok und welches nicht ok ist. Und wenn ihnen etwas auffällt, was nicht ok ist, sollten sie es dann nicht den großen Menschen mitteilen, die vielleicht was tun können?

Wie viele von uns waren TäterInnen?

Wir müssen weder hohl noch oberflächlich sein, um uns mit anderen zu vergleichen. Die eigene Unsicherheit reicht vollkommen aus. Frischgebackene Mütter wissen das vielleicht am besten. Natürlich möchte eine/r dazugehören, natürlich will eine/r nicht immer unangenehm auffallen und sich einfach "richtig" verhalten. Das gilt für Kinder genauso wie für Erwachsene.

Aber irgendwann im Leben kommt der Moment, wo wir uns über andere erheben, meinen wir machen es besser, richtiger und überhaupt. Und wenn das nicht geht, dann hauen wir drauf. Kinder wollen ebensowenig unangenehm auffallen. Und wenn es keinen anderen Weg gibt, um ganz sicher nicht am unteren Ende der Hierarchie zu landen oder einfach um sich Stärke zu beweisen, dann muss jemand anderes darunter leiden. Bei über 20 Kindern in der Klasse wird wohl eines dabei sein, dass irgendwie aus der Reihe tanzt. Dafür muss mensch kein Rüpel sein. Es reicht die offen zur Schau getragene Antipathie und ein kleiner Reim oder Streich. Antipathie ist ansteckend. So gibt es dann irgendwann ein Normalo-Grüppchen, ein Hero-Grüppchen und ein Ausseinseiter-Grüppchen. Untereinander vermischen oder überkreuzen tun sich die aber in der Regel nicht.


Es ist absolut ok, jemanden nicht zu mögen, aber muss mensch dafür jemand gleich öffentlich zum "Wäähh-Objekt" machen? Kinder tun das. Schonungslos.


Sollten wir nicht mit ihnen darüber reden?

Eltern, die sich einmischen sind peinlich?

Eltern, die sich einmischen, kümmern sich.

Ich spreche hier nicht von überfürsorglichen Helikopter-Eltern, die sofort bei allen an der Tür klopfen. Der Gang zur Direktion oder zum Klassenvorstand ist eine Sache.

Einmischung heißt in erster Linie einmal, sich in das Leben des eigenen Kindes einzumischen. Mitzubekommen, dass irgendwas nicht stimmt. Darauf zu hören, wenn das Kind nicht mehr in die Schule gehen will. Was immer auch passiert, Schikane ist peinlich und niemand spricht gerne darüber. Noch weniger wird darüber gesprochen, wenn Kindern ständig das Gefühl vermittelt wird, sie seien ohnehin so selbständig, sie schaffen eh alles alleine. Und alle ihre Konflikte können sie allein austragen. Natürlich müssen sie das mehr oder weniger vor Ort. Aber sollten wir nicht auch eine tröstende Schulter anbieten und für unsere Kinder da sein, bevor sie sich - wie in ganz drastischen Fällen - das Leben nehmen?

Auf die Fragen kommt es an:


Glennon Melton schrieb kürzlich in der Huffington Post ein Plädoyer für die Kommunikation in Beziehungen. Sie meint, wir sollten aufhören zu fragen "Wie geht's" und "Wie war dein Tag?" Denn darauf ließe sich alles und nichts antworten. Stattdessen sollten wir unseren Kindern Fragen stellen wie:


  • Wie hast du dich während der Schularbeit gefühlt?
  • Hast du dich heute irgendwann einsam gefühlt?
  • Hast du dich heute einmal stolz auf dich gefühlt?


Anfangs wirkt es ein bisschen komisch. Aber Melton meint, Fragen sind wie Geschenke. Unsere Gedanken dahinter geben den anderen das Gefühl, ob es uns wirklich interessiert. Wenn wir die EmpfängerInnen unserer Fragen kennen, können wir auch die richtigen Geschenke/Fragen bereitstellen. Gewöhnliche Geschenke und Fragen seien durchaus in Ordnung, aber persönliche fühlen sich einfach besser an. Je mehr Aufmerksamkeit und Zeit mensch den Fragen widmen würde, desto schöner werden die Antworten.


Im Falle von Diskriminierungserfahrungen bedeutet dies: Schon lange bevor es zu solchen kommt, wird das Kind durch diese wertschätzende Haltung gestärkt, und schon lange vorher wird wahrgenommen, wenn sich etwas anbahnt.

Jahrelange Abwertung der eigenen Person hinterlässt Spuren.

Wer jahrelang getriezt wird, jahrelang gedemütigt, dem/r Platzt irgendwann der Kragen und haut auf andre drauf, zerstört sich mit dem Wunsch nach Perfektionismus und Überangepasstheit leicht mal selbst, oder verfällt in tiefe Depression.

 

Ständiges Empowerment von "schwachen" Kindern führt nicht unbedingt nur dazu, dass diese Kinder stärker werden, sondern dass sie auch die Botschaft bekommen: Du bist nicht ok so wie du bist. Denn wozu Empowerment, wenn der Auslöser des Spottes Familienstrukturen, Religion und Haarfarbe sind und der Grund eigentlich im niedrigen Selbstwert des anderen Kindes liegt?


Sollten wir dann nicht alle unsere Kinder darin stärken, dass sie ok sind, wie sie sind und darauf achten, dass sie ihrer selbst sicher sind, um nicht andere abwerten zu müssen, und stattdessen dort eingreifen, wo sie eben dieses Verhalten entdecken?


Einmischen kann dann auch mal heißen, den Dingen auf den Grund zu gehen, und auf das andere Kind einzugehen und zu hören was es braucht. UND: Sich selbst mal bei der Nase nehmen und zuhören was, mensch  über die anderen Eltern so von sich gibt, denn genau dieser Tratsch ist oft die Saat des Bösen.


Wie heißt es so schön? Wir ernten, was wir säen.


Hilfestellungen für dich als Elternteil:

Hier kannst du dir als Unterstützung  ein kleines Worksheet downloaden mit Fragen und Platz für deine Gedanken für ein Gespräch über Gefühle mit deinem Kind. (Es ist Teil des eBooks "Wie sag ich's meinem Kind: Sex & Porno", das es für alle auf der E-Mail-Abonnenten gratis gibt).

 

Außerdem gibt es aus dem Loewe-Verlag ein tolles Aufklärungsbuch, das gleich 3 weitere Bücher zu den Themen emotionale Entwicklung, Selbstbestimmung und Schutz vor Missbrauch vereint. Ich hab es an dieser Stelle im Blog ausführlich rezensiert. Die Bücher gibt's natürlich auch einzeln und sind im Blog ebenfalls verlinkt. Bei der Altersangabe steht ab 5 Jahre - geht aber auch für ältere als Diskussionsgrundlage ganz gut.

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Trauma Täter sexualisierte Gewalt
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